Bei der diesjährigen von uns in Köln veranstalteten Podiumsdiskussion zum Tag der Menschenrechte berichtete der auf Straf- und Menschenrechtsrecht spezialisierte britische Anwalt Kevin Dent davon, wie tief ihn die in der Türkei beobachteten Gerichtsverfahren erschüttert haben. Er erklärte, dass er 2019 nach Türkiye gereist sei, um drei Verhandlungen im Prozess gegen Osman Kavala zu verfolgen, und dass er dort mit Praktiken konfrontiert worden sei, denen er in seinem beruflichen Leben noch nie begegnet sei. Neben seiner Überraschung war auch die Genauigkeit spürbar, mit der sein Vertrauen in das Recht verbunden ist.
Er erzählte, dass das Türkiye, das er Anfang der 2000er Jahre als Tourist besucht habe, und das Türkiye, das er 2019 gesehen habe, sowohl in den äußeren Bedingungen als auch im rechtlichen Klima ein völlig anderes Bild geboten hätten. Die militärische Atmosphäre am Schwerstkriminalgericht in Silivri, die Panzer vor dem Gerichtsgebäude, die innen und außen aufgereihten Soldaten, die vollständige militärische Abschirmung der Angeklagten. All dies, so bemerkte er, erzeuge bewusst den Eindruck, die Angeklagten seien äußerst gefährliche Personen.
Die Nichtbeachtung des EGMR-Urteils, die geheimen Anhörungen von Zeugen ohne Anwesenheit der Verteidigung, das Entfernen von Anwälten aus dem Saal, sobald sie gegen rechtswidrige Vorgänge protestierten, und damit die Zurücklassung der Angeklagten ohne Verteidigung, die Druckausübung auf die Verteidigung. Dent betonte, dass nichts davon mit dem Grundsatz eines fairen Verfahrens vereinbar sei und dass dies im Namen des Rechts äußerst besorgniserregend sei.
Einer der Punkte, die ihn am meisten überrascht hätten, sei gewesen, dass der Freispruch für Osman Kavala persönlich vom Präsidenten des Landes angegriffen worden sei. Unmittelbar nach dieser Erklärung sei gegen die Richter, die den Freispruch ausgesprochen hatten, ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Nach Dent stelle dies einen schweren Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz dar. Recht habe nur dann Bedeutung, wenn es für alle gleichermaßen gelte, und auch Menschenrechtsorganisationen müssten stets daran erinnern, dass die Rechte aller Menschen den gleichen Wert besitzen.
Er sagte, eine seiner nachdenklichsten Beobachtungen sei gewesen, dass die Menschen in der Türkei an das Geschehen scheinbar gewöhnt seien. Er hob die Gefahr hervor, sich an außergewöhnliche Maßnahmen zu gewöhnen, die die Grenzen des Rechts überschreiten, ganz gleich gegen welche gesellschaftliche Gruppe sie sich richten. Zudem betonte er, dass man sich nicht an Rechtswidrigkeit gewöhnen dürfe und dass erlittenes Unrecht bei jeder Gelegenheit in Erinnerung gerufen werden müsse.
Die Welt sei über den Fall Osman Kavala informiert und verfolge ihn überwiegend aufmerksam. Dennoch gebe es viele Personen und Gruppen, die ähnlicher Rechtswidrigkeit ausgesetzt seien, deren Verfahren jedoch von keinem Beobachter verfolgt würden. Er verwies auf die Bedeutung, diese im Verborgenen bleibenden Ungerechtigkeiten sichtbar zu machen und sich dafür einzusetzen.
Aus diesem Anlass erinnern wir als Weltanwälte e.V. erneut daran:
Keine erlebte Rechtswidrigkeit ist normal. Wir gewöhnen uns nicht daran und wir lehnen es ab, uns daran zu gewöhnen.
Recht ist für alle da und muss für alle gleichermaßen gelten.