Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zur Pushback-Praxis Griechenlands

Am Morgen des 4. Mai 2019 überschritt A.R.E., infolge rechtswidriger Verfolgung in der Türkei, den Evros-Fluss (Meriç), um in Griechenland Asyl zu suchen. Jedoch wurde er von griechischen Behörden im Rahmen der sogenannten „Pushback-Praxis“ ohne rechtliche Grundlage in die Türkei zurückgeführt. Dieses Vorgehen wurde durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 7. Januar 2025 als eine gravierende Verletzung fundamentaler Menschenrechte verurteilt.

A.R.E. war aufgrund eines türkischen Strafurteils zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Nach seiner Rückführung wurde er von den türkischen Behörden festgenommen und inhaftiert. Da er in der Türkei kein faires Gerichtsverfahren erwartete, entschied sich A.R.E., seine Rechte vor dem EGMR geltend zu machen. Dieser Fall stellt die erste gerichtliche Untersuchung des EGMR zur Pushback-Praxis in der Evros-Region dar.

Rechtliche Feststellungen des EGMR

Der EGMR hat im Fall von A.R.E., der durch den Griechischen Flüchtlingsrat (Greek Council of Refugees – GCR) juristisch vertreten wurde, folgende Kernpunkte festgestellt:

  1. Systematische Pushback-Praxis: Es wurde nachgewiesen, dass griechische Behörden Drittstaatsangehörige, die den Evros-Fluss überquerten, systematisch und ohne rechtliche Grundlage in die Türkei zurückführen.
  2. Rechtswidrige Rückführung von A.R.E.: Die Rückführung von A.R.E. erfolgte ohne Wahrung rechtlicher Schutzmechanismen und stellte eine Verletzung grundlegender Rechte dar.
  3. Unrechtmäßige Freiheitsentziehung: Vor der Rückführung wurde A.R.E. durch griechische Behörden in Verletzung des Artikels 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) festgehalten.
  4. Unzureichende strafrechtliche Ermittlungen: Die griechische Justiz hat keine effektive strafrechtliche Untersuchung durchgeführt und die Beschwerde von A.R.E. trotz stichhaltiger Beweise eingestellt.

Verstöße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)

Der EGMR stellte fest, dass Griechenland gegen mehrere Artikel der EMRK verstoßen hat:

  • Artikel 3 und 13: Die Rückführung von A.R.E. stellte eine Verletzung des Verbots von Folter sowie unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung dar.
  • Artikel 5: Die unrechtmäßige Festhaltung verletzte das Recht auf Freiheit und Sicherheit.
  • Artikel 13 in Verbindung mit Artikel 2 und 3: Es wurde festgestellt, dass A.R.E. kein wirksames Rechtsmittel zur Verfügung stand, um sich gegen die Maßnahmen zu wehren.

Entschädigung und Urteil

Im Rahmen von Artikel 41 der EMRK entschied der EGMR, dass Griechenland A.R.E. eine Entschädigung in Höhe von 20.000 Euro für den immateriellen Schaden zu zahlen hat.

Bedeutung des Urteils

Das Urteil des EGMR bestätigt, dass die Pushback-Praxis der griechischen Behörden eine systematische und rechtswidrige Vorgehensweise darstellt. Besorgniserregend ist auch die Feststellung, dass diese Maßnahmen unter der Aufsicht und mit der Kenntnis von Frontex, der EU-Agentur für Grenzschutz, durchgeführt wurden. Dies wirft ernsthafte Fragen zur Transparenz und Rechtsstaatlichkeit in der europäischen Migrationspolitik auf.

Relevanz des Völkerrechts

Die zwangsweise Rückführung einer Person in ein Land, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit bedroht ist, verstößt gegen fundamentale Prinzipien des internationalen Rechts. Diese sind unter anderem in folgenden völkerrechtlichen Verträgen verankert:

  • Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 und das Protokoll von 1967
  • Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen (Artikel 14)
  • Europäische Menschenrechtskonvention (Artikel 3 und Artikel 13)
  • Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter (CAT)

Empfehlungen für zukünftige Maßnahmen

  1. Griechische Behörden: Die griechische Regierung sollte sicherstellen, dass alle Grenzschutzmaßnahmen im Einklang mit internationalen und europäischen Menschenrechtsstandards stehen. Die systematische Pushback-Praxis muss eingestellt werden.
  2. Europäische Union: Frontex sollte einer strengeren Überwachung unterzogen werden, um die Einhaltung menschenrechtlicher Standards an den EU-Außengrenzen zu gewährleisten.
  3. Internationale Gemeinschaft: Es sollten wirksamere Mechanismen zur Sanktionierung rechtswidriger Rückführungen geschaffen und die Rechte von Geflüchteten weltweit gestärkt werden.

Das Urteil des EGMR ist ein wichtiger Meilenstein zur Sicherung der Rechtsstaatlichkeit und des Schutzes der Menschenrechte in Europa. Es unterstreicht die Notwendigkeit einer transparenten und menschenrechtskonformen Migrationspolitik.

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